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Zunft: eine Vereinsform, die völlig aus der Zeit gefallen ist

von Stefan Del Fabro
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Zürich ist nicht nur die grösste und reichste Stadt der Schweiz. Einmal jährlich ist sie auch die merkwürdigste Schweizer Stadt. Mitten im Zentrum wird öffentlich ein Schneemann „hingerichtet“. Organisiert wird das Ganze von den Zünften. Eine uralte Vereinsform, die völlig aus der Zeit gefallen ist. Und zwar aus diversen Gründen. 

Was ist eigentlich eine Zunft?

Sechseläuten in Zürich. Ein Schneemann – der Böögg auf dem Scheiterhaufen – wird „hingerichtet“.

Heissen tut der Anlass «Sechseläuten». Was die Zürcher Ur-Vereine – also die Zünfte – da einmal jährlich organisieren, ist so beliebt, wie umstritten. Eine Zunft «gehörte zu den ersten Berufsvereinigungen überhaupt» fasst es die Website zunft.de zusammen. «Heute sind die klassischen Zünfte zwar Geschichte, aber noch lange nicht vergessen.» 

Frauen ausschliessen «nicht mehr zeitgemäss»

Die Formulierung «nicht vergessen» ist eigentlich ein Hohn. Denn Zunft.de blendet etwas aus: Es mutet seltsam an, dass Frauen bis heute in Zünften nichts oder nur sehr wenig zu sagen haben. 

Dass sich die Zünfte faktisch weigern, Frauen aufzunehmen, wird zusehends zur Belastung. Zumal sich die Stadt Zürich die Bekämpfung der Diskriminierung auf die Fahne schreibt. 

Die Meise – alleine auf weiter Flur.

«Frauen aus dem Zunftleben auszuschliessen, sei nicht mehr zeitgemäss.» Zu diesem Schluss kam eine Arbeitsgruppe der Zunft zur Meisen. Und zwar im Herbst 2021! «Kommt es zu einem Paradigmenwechsel?», fragte selbst die bürgerliche NZZ. Da scheinen die Meisen aber allein auf weiter Flur. Die Basler Zeitung machte – ebenfalls im Herbst ‘21 – eine Umfrage. Das Ergebnis ist ernüchternd: „Kein Zunftmeister will sich aktiv für Mitgliedschaften von Frauen einsetzen.“

Mitgliedschaft von Frauen «nicht ungewöhnlich»

Während sich Zünfte schwertun, gibt es historisch belegte Texte, die nachweisen, dass Frauen in Zünften tätig waren. «Spätestens seit dem 13. Jahrhundert gibt es auch schriftliche Belege über Handwerkerinnen», schreibt Arnd Kluge im Buch «Die Zünfte». Die Mitgliedschaft von Frauen in Zünften «war im Mittelalter nicht die Regel, wohl aber nichts Ungewöhnliches.»

Zunft ist also eine Vereinsform, die völlig aus der Zeit gefallen ist. Dass sich hierzu die «Genderpolizei» nicht lauthalser zu Wort meldet – ein Rätsel. Anderseits, und das muss auch gesagt sein, ist das Sechseläuten optisch ein Hingucker, akustisch ein Ohrwurm und ein beliebter Familienanlass. 

Was ist das Sechseläuten?

An einem verlängerten Wochenende im April (2022 vom 22. bis 25.4.) ziehen ganz normale Geschäftsleute historische Gewänder an und sind ein beliebtes Fotosujet für Einheimische und Touristen. Am Sonntag findet der Kinderumzug, am Montag der «grosse» Umzug statt. Dieser endet auf dem «Sechseläutenplatz» vor dem altehrwürdigen Opernhaus. Der prägnante Sechseläuten-Marsch findet leicht seinen Weg ins Ohr. 

Je eher der Knall, umso schöner der Sommer

Hat der schöne Sommer auf dem «Sechseläutenplatz» etwas mit dem Böögg zu tun?

Auf einem Scheiterhaufen steht ein Schneemann aus Pappmaché. Punkt 18 Uhr – daher der Name Sechseläuten – wird der Holzstapel angezündet und der Countdown gestartet. Sobald dem Schneemann – Böögg genannt – der Kopf explodiert, wird die Zeit angehalten Der Brauch sagt: je früher die Kopf-Explosion, umso schöner der darauf folgende Sommer. 

2003 dauerte es 5.42 Minuten bis zum Knall. Das ist die fünftschnellste Zeit. Dann kam der Jahrhundertsommer. In Europa und auch der Schweiz wurde es damals bis zu über 40 Grad heiss. 

Noch schneller knallte der Kopf nur viermal: 1956 (weniger als 4 Minuten), 1968 und 1971 (je 5 Minuten) und 1974 (5.07 Minuten). 

Umgekehrt dauerte es 2016 rekordlange 43.34 Minuten bis zur Explosion. Wetteronline.de fasst den Sommer 2016 so zusammen: „Auf einen Juni voller Unwetter mit örtlich katastrophalen Regenmengen folgte ein Auf und Ab der Temperaturen.“

Ein Schelm, wer da keinen Zusammenhang zum Böögg sieht…

Bist du in einer Zunft? Was hältst du von einer Vereinsform, die völlig aus der Zeit gefallen ist? Oder sind wir mit unserer Haltung zu streng? Schreib uns deinen Kommentar. 

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